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Gewaltfreie Kommunikation

"Gewaltfreie Kommunikation? Bestimmt irgendwas Hippiemäßiges!" hätte mein jüngeres Ich vielleicht gedacht, wäre mir dieser Ausdruck seinerzeit begegnet. Und genau da liegt schon ein wesentlicher Punkt: Ich verurteile und bewerte etwas, ja werte es sogar ab, obwohl ich es noch nicht mal kenne, also ohne zu wissen, was überhaupt dahinter steckt. Von daher möchte ich dir ans Herz legen, nicht wie der junge Konstantin zu denken, sondern dir die Zeit zu nehmen und das Folgende zu lesen. Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) zielt darauf ab, mittels gegenseitigem Verständnis und Empathie in Verbindung zu kommen, sei es mit sich selbst oder in zwischenmenschlichen Begegnungen.


Der Psychologe Marshall B. Rosenberg (1934-2015), Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, stellte die These auf, dass hinter jeglichem Handeln eines Menschen die Absicht steckt, ein Bedürfnis zu erfüllen oder zumindest zu nähren. Er formulierte, dass Bedürfnisse dem Leben dienen, während angenehm erlebte bzw. positiv-konnotierte Gefühle auf erfüllte und unangenehm erlebte bzw. negativ-konnotierte Gefühle auf unerfüllte Bedürfnisse hinweisen. Dies lässt sich mit einem einfachen Beispiel veranschaulichen: Fühlt man sich hungrig, ist dies der Hinweis auf das unerfüllte Bedürfnis nach Nahrung. Was beim Körper sehr einleuchtend ist, funktioniert in psychischer Hinsicht ebenso. Fühlt sich jemand gerade einsam, ist dies z.B. das Signal dafür, dass ein Bedürfnis nach Gemeinschaft, Austausch oder Verbundenheit gibt. Wenn sich jemand hingegen glücklich fühlt, ist vielleicht eines dieser Bedürfnisse gerade genährt worden. Dabei sind diese Bedürfnisse abstrakt und unabhängig von Personen, Zeit, Ort und Handlung. "Ich habe das Bedürfnis, mit dir (Person) heute um 17 Uhr (Zeit) im Park (Ort) laufen zu gehen (Handlung)." formuliert also kein Bedürfnis, sondern vielmehr eine konkrete Strategie, möglicherweise das Bedürfnis nach Bewegung oder Gesundheit sowie Verbindung oder Gemeinschaft zu erfüllen. So sind es unsere Bedürfnisse, denen unsere Gefühle zugrunde liegen, also ihre Ursachen, aber niemals das Verhalten von anderen. Dies stellt "nur" den Auslöser da. Ein schönes Beispiel hierfür ist folgende Situation: Man hat sich mit jemanden zu einem Treffen verabredet, die andere Person kommt 20 Minuten nach der vereinbarten Zeit zum Treffpunkt, also "zu spät" würde man sagen. Ist man vielleicht unter Druck, hat sich selbst abgehetzt, um pünktlich vor Ort zu sein oder es steht ein Folgetermin an, ist man wahrscheinlich not amused und dementsprechend genervt. Hier steht das Bedürfnis nach Zuverlässigkeit im Vordergrund. Vielleicht möchte man auch gesehen oder wertgeschätzt werden, weil man selbst so bemüht war, pünktlich zu erscheinen. Es kann aber auch sein, dass man total entspannt ist, weil man in diesen 20 Minuten eine kleine Pause und Zeit zum Durchatmen hat, sodass man das Zuspätkommen der Verabredung gar nicht übel nimmt. So sind es zwei unterschiedliche Reaktionen auf ein und das selbe Phänomen – nur die Bedürfnislage ist eine andere.

Ist man sehr genervt von der Unpünktlichkeit, könnte man seine Bekanntschaft dementsprechend begrüßen: „Man, du kommst zu spät und lässt mich hier 20 Minuten alleine warten und ich hetz‘ mir noch einen ab! Hättest du nicht Bescheid sagen können?“. Jetzt hätte das Gegenüber laut Rosenberg vier Arten, hierauf zu reagieren.

So könnte er oder sie sich entschuldigen, also mit Schuld und vielleicht sogar Scham die Verantwortung für unsere Gefühle (obwohl es ja unsere sind) übernehmen, das eigene Verhalten als falsch bewerten usw. Das kennen wir meist so und es scheint uns „normal“, hierbei geht aber die Augenhöhe und die Gleichwertigkeit verloren. Der oder die andere kommt ja in der Regel nicht zu spät, um uns zu ärgern, uns Böses anzutun oder damit wir uns schlecht fühlen sollen.

Die zweite Reaktion wäre eine "Verteidigung" oder ein „Gegenangriff“, weil sie oder er sich „angegriffen fühlt“ und vielleicht selbst genervt ist, weil die Zeit nicht eingehalten werden konnte. So blafft man zurück: „Bleib mal entspannt, du weißt doch gar nicht, was mir passiert ist oder wieso ich zu spät bin!“

Die dritte Art des Reagierens könnte der Selbstausdruck sein, wobei der oder die "Angeklagte" seine Gefühle und Bedürfnisse mitteilt: "Ich bin gerade völlig perplex (Gefühl), weil ich gerade Verständnis (Bedürfnis) brauche, für das was mir auf dem Weg hierher zugestoßen ist."

Die vierte Reaktion besteht darin, die Empathie dem anderen Gegenüber auszudrücken. Es ist oft die herausfordernste, weil man als Person, der ein Vorwurf gemacht wird, eher gewohnt ist, wie oben beschrieben zu reagieren und sich zu entschuldigen, zu rechtfertigen oder dagegen zu argumentieren. Eine auf Empathie beruhende Aussage könnte sein: "Ich höre, du bist genervt (Gefühl), weil dir Zuverlässigkeit wichtig ist und du dir gewünscht hättest, dass ich dir bescheid sage, wenn ich später als vereinbart komme (Bedürfnis Kommunikation)."


Wenn Menschen verstanden werden, ihnen also Empathie entgegen gebracht wird, nimmt dies meist den "Dampf aus dem Kessel". Sie werden in ihren Gefühlen und Bedürfnissen gesehen, also in dem was in ihnen gerade lebendig ist, sie menschlich macht und letztendlich worum es im Zwischenmenschlichen eigentlich essentiell geht. Ich behaupte, wenn Menschen eine ernst gemeinte Entschuldigung von jemandem erhalten, dass die Entschuldigung an sich weniger das Frieden bringende ist, sondern viel mehr das Verständnis und Gesehen werden, was mit dieser einhergeht. Entschuldigt sich jemand nur um einer Strafe zu entgehen, beruht dies nicht primär auf Verständnis oder Ehrlichkeit, sondern auf Vermeidung und Angst davor.


Die Gewaltfreie Kommunikation verzichtet sowohl im Selbstausdruck oder der Selbstempathie und auch bei der Empathie der anderen Person gegenüber auf Bewertungen und Urteile, arbeitet nicht mit Schuld, Scham oder Strafe und kategorisiert nicht in richtig und falsch. Denn gerade diese Bewertungen und Urteile sind es, die in uns Schuld- oder Schamgefühle auslösen, die wir vermeiden wollen und uns dann, wie oben beschrieben, entschuldigen, verteidigen oder ebenso mit Verurteilungen zurück schlagen, was an dieser Stelle aufzeigt, was mit "Gewalt" gemeint ist. Daher gilt es bei der GFK vier Schritte zu berücksichtigen oder als Orientierung zu nutzen, wie sich etwas ausdrücken lässt.


1. Beobachtung

Hier beschreibt man, was tatsächlich vorgefallen ist und was eine Kamera oder ein Mikrofon hätte aufzeichnen können, ohne dies zu werten. Denn in der Wertung steckt oft ein Vorwurf oder ein Urteil, auf das unser Gegenüber schon dementsprechend reagieren könnte. Am Beispiel des Zuspätkommens könnte man hier sagen:

"Du bist 20 Minuten nach der vereinbarten Zeit gekommen..."

Man verzichtet also darauf zu sagen, was man darüber denkt und wie man es interpretiert, also in diesem Falle sowas wie: "Total ignorant von dir!" oder "Hast mich hier einfach stehen und warten lassen." oder davon abgeleitete Unterstellungen, wie "Ich bin es dir anscheinend nicht Wert, dass du mal bescheid sagst!".

Wäre es nicht unaufrichtig, das was man denkt zu verschweigen? fragst du dich vielleicht. Doch das was wir denken ist immer eine Interpretation unserer Gefühle, deren Ursache in unseren Bedürfnissen liegen, nicht im Verhalten der anderen Person, dies ist "nur" der Auslöser. Hätte man, wie oben beschrieben, ein anderes Gefühl und Bedürfnis, weil man beispielsweise ebenso zu spät kommt oder froh ist, noch kurz Durchatmen zu können, ist das Verhalten des Gegenübers gar nicht ignorant, falsch oder asozial. So wird hier also im Wesentlichen die Beobachtung von dem Denken, der Bewertung bzw. Interpretation getrennt.


2. Gefühl

Im zweiten Schritt wird das ausgelöste Gefühl oder gar mehrere geäußert. Dabei ist zu achten, dass es sich wirklich um das Gefühl handelt und nicht um sogenannte Pseudo-, Opfer-, oder Tätergefühle, die wiederum Unterstellungen und Vorwürfe enthalten. Hierzu ein Beispiel: Anstatt Sätze zu sagen wie:

"Ich fühle mich versetzt!" oder ""Ich fühle mich nicht ernst genommen!" in denen die Vorwürfe stecken, die andere Person hätte einen mutwillig versetzt oder würde einen nicht ernst nehmen, wird das tatsächliche Gefühl geäußert. "Ich bin total genervt/irritiert/sauer/traurig." So wird der anderen Person mein Gefühl mitgeteilt, sodass sie weniger einen Vorwurf heraus hört und dementsprechend mit Abwehr reagiert. Ob es sich um ein Pseudogefühl oder ein tatsächliches handelt, lässt sich gut mit der "Ich bin ..." anstatt "Ich fühle mich ..." überprüfen. "Ich bin versetzt/nicht ernst genommen." klingt komisch, während "Ich bin genervt/traurig/..." passt. Auch bei der Formulierung "Ich habe, das Gefühl, dass du/er/sie/es..." (so und so bist) folgt in der Regel kein tatsächliches Gefühl, sondern eine verstandsgemäße Interpretation dessen.

Um nun den ersten Schritt der Beobachtung mit dem zweiten des Gefühls in einem Satz zu verbinden, könnte man sagen:

"Du bist 20 Minuten nach der vereinbarten Zeit gekommen (Beobachtung) und ich bin irritiert/genervt/sauer/traurig... (Gefühl)"


3. Bedürfnis

Als nächstes wird das Bedürfnis geäußert, das die Ursache für die Gefühle ist. Hierbei ist es wichtig, das Bedürfnis von der Strategie zu trennen. "Ich habe das Bedürfnis, mit dir einen Spaziergang zu machen." nennt eher eine Strategie, um die Bedürfnisse nach Gemeinschaft, Austausch oder Bewegung zu erfüllen, daher gilt es, diese auch auszudrücken. In Verbindung mit den vorherigen beiden Schritten und bezogen auf unser Beispiel, könnte es also heißen:

"Du bist 20 Minuten nach der vereinbarten Zeit gekommen (Beobachtung) und ich bin irritiert/genervt/sauer/traurig (Gefühl), weil mir Zuverlässigkeit/Kommunikation/Wertschätzung (Bedürfnis) wichtig ist..."

Es ist sehr wichtig, das Bedürfnis zu äußern, da es, wie bereits beschrieben, die Ursache und der Grund für unsere Gefühle ist, das, worum es eigentlich geht. Wenn es kommuniziert wird, kann dies quasi als Geschenk gesehen werden, da so die eigene Menschlichkeit und Lebendigkeit ausgedrückt wird. Schließlich haben alle Menschen Bedürfnisse und Gefühle, unabhängig von Kultur, Herkunft, Geschlecht, etc.


4. Bitte

Abgerundet werden die vier Schritte durch eine Bitte. Somit weiß unser Gegenüber was unser Wunsch ist und welche Strategie ihn und damit das Bedürfnis erfüllt. Hierbei gilt es, darauf zu achten, die Bitte in einer "positiven Handlungssprache" auszudrücken. Das heißt zum einen, dass man nicht sagt, was man nicht möchte. Hierzu passt eine Bestelltung im Restaurant, bei der man der Kellnerin auch nicht alle Gerichte aus der Karte aufzählt, die man nicht will. Zum anderen bedeutet es, eine konkrete Handlungsstrategie zu nennen und nicht "fromme Wünsche", wie: "Sei das nächste Mal bitte zuverlässiger!" So ließe sich hier zum Beispiel formulieren:

"Kannst du dir das nächste Mal vielleicht einen Wecker stellen?" (Bedürfnis Zuverlässigkeit), oder

"Kannst du mir beim nächsten Mal eine SMS schicken, dass du später als vereinbart kommst?" (Bedürfnis Kommunikation), oder

"Magst du mir erzählen, warum du zu spät bist?" (Bedürfnis Verständnis).

Es kommt also sehr auf das Bedürfnis an, wie die konkrete Bitte in Form der Strategie, die das Bedürfnis nähren soll, aussieht. Mit Bezug auf die vorherigen Schritte könnte unser Selbstausdruck mit allen vier Schritten also folgendermaßen lauten:

"Du bist 20 Minuten nach der vereinbarten Zeit gekommen (Beobachtung) und ich bin irritiert/genervt/sauer/traurig (Gefühl), weil mir Zuverlässigkeit/Kommunikation/Wertschätzung (Bedürfnis) wichtig ist. Kannst du dir das nächste Mal eine SMS schreiben?".

In diesem Beispiel wissen wir noch nicht, wieso die andere Person zu spät ist und keine SMS geschrieben hat, sodass die Bitte erst einmal darin liegen könnte, dass sie uns erzählt wie es dazu kam. Außerdem ist es ebenfalls nicht selten, dass es gerade gar keine konkrete Handlungsstrategie gibt. In diesem Falle kann man fragen, was die andere Person uns hat sagen hören, ob es nachvollziehbar für sie ist oder wie es ihr damit geht. So bleibt man in Verbindung und macht sich keinerlei Vorwürfe, sondern sorgt für ein Grundverständnis und den Austausch.


Die vier Schritte in dieser Reihenfolge bauen aufeinander auf, sind durchdacht und sinnvoll. Wenn man sich jedoch starr an diese hält, kann es vor allem anfangs noch sehr statisch und "hölzern" klingen, weil es quasi eine andere Sprache ist, die unüblich ist und gelernt werden will. Ähnlich wie bei einer Fremdsprache braucht es Zeit, diese zu lernen und zu etablieren. Ein weiterer Punkt ist, dass es bei der GFK viel mehr um die innere Haltung geht, als das statische Modell der vier Schritte. Wenn diese verinnerlicht ist, klingt die GFK für andere möglicherweise noch immer fremd, aber nicht mehr "unauthentisch" oder als bloßes Mittel zum Zweck.


Es lohnt sich, im zwischenmenschlichen Miteinander die GFK auszuprobieren und zu üben. Viele staunen darüber, was sie vor allem in "alteingesessenen" Situationen mit bestimmten Mitmenschen in positiver Hinsicht bewirkt.


 
 
 

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